<
4 / 5
>

25.10.2013

Diagnose: Antisoziale Persönlichkeitsstörung

Ungewöhnliche, brutale und verstörende Verbrechen und Verbrecher standen im Mittelpunkt des Vortrages „Wer hat Angst vorm bösen Mann?“ von Prof. Dr. Borwin Bandelow am Montag, dem 21. Oktober in der Ev.-luth. Martin-Luther-Gemeinde Hameln. Eingeladen hatte dazu die Initiative „Kirche mischt sich ein“, unterstützt vom Anwaltshaus v. 1895, dem Ärzteverein Hameln, dem Förderverein Kriminalprävention und der Katholischen Erwachsenenbildung.

Es sind Fälle wie der von Natascha Kampusch, mit denen Prof. Bandelow seinen Vortrag begann, Fälle, bei denen Mädchen entführt und z.T. jahrelang als (Sex-) Sklavinnen gehalten wurden, die aber bemerkenswerterweise Chancen zur Flucht häufig nicht nutzten. Als Gewalttäter mit antisozialer Persönlichkeitsstörung bezeichnete Bandelow  diese Menschen, die solche und vergleichbare Verbrechen verübten. Typisch für diese Art von Tätern seien ihr aggressives Verhalten und ihre hohe Risikobereitschaft,  die Abwesenheit von Mitgefühl, Drogenkonsum sowie fehlende Lernfähigkeit bei der Verbüßung von Haftstrafen und eine hohe Rückfallquote. Ebenso kennzeichne sie aber auch ihre Lust an der Täuschung und ihre besondere Fähigkeit, andere zu täuschen, begleitet von einer gehörigen Portion Charme. 
Ursächlich für derartige Persönlichkeitsstörungen sind nach Ansicht von Prof. Bandelow neben einer Prägung durch Erziehung und/oder traumatische Erlebnisse auch genetische Voraussetzungen, die sich in einer Störung des Endogenen Opiatsystems (EOS) ausdrücken. Bei allen Menschen werden von diesem System im Gehirn Endorphine produziert, die einerseits „Belohnung“, andererseits Angst signalisieren (um z.B. eine Fluchtreaktion auszulösen).  Eine mangelnde Produktion von Endorphinen führe zu einer Reihe an „Defekten“, angefangen beim Narzissmus über die diversen Arten von Sucht und Sensationssuche bis hin zu Stalking und schwersten Sexualstraftaten. Das spräche zwar grundsätzlich für eine verminderte Schuldfähigkeit solcher Art Täter, nicht aber für deren Schuldunfähigkeit, wie sie beispielsweise bei (eindeutig krankhafter) Schizophrenie gegeben sei. Mit diesem Problem einer verminderten Schuldfähigkeit stelle sich demnach in solchen Fällen ganz generell die Frage nach Schuld und Sühne.

Warum uns solche Täter aber auch faszinieren und manches Mal zu positiven Täter-Opfer-Beziehungen führen, schilderte Borwin Bandelow anhand einiger Beispiele, die für Außenstehende völlig unverständlich wirken und für die sich der Begriff „Stockholm-Syndrom“ eingebürgert hat. Gebildet habe sich der Begriff für Fälle von Geiselnahmen,

©J.Jäckel
Die Diskussion wurde von Dr. Otto
Ribbat moderiert (im Hintergrund).
im Vergleich zu den genannten Entführungen also relativ „harmloseren“ Situationen, bei denen sich die Opfer, häufig Bankangestellte, anschließend massiv für die Täter eingesetzt hätten. Das biochemisch-psychische Modell erkläre diesen Sachverhalt damit, dass die Polizei (nicht der Täter) von den Opfern als lebensbedrohlich wahrgenommen werde. Das Gefühl elementarer Angst überlagere hier vernünftige Überlegungen. Auch in den Fällen mit jahrelanger Gefangennahme erschienen die Täter ihren restlos abhängigen Opfern als Bewahrer ihres Lebens. Schließlich seien es ausschließlich sie, die Täter, die für die elementarsten Bedürfnisse wie Essen und menschlichen Kontakt sorgten (wie die Mutter für den Säugling). Positive Beziehungen dieser Art könnten natürlich auch erotische Hintergründe haben, aber auch auf (eingebildeter) Macht des Opfers über den Täter oder einfach nur auf Wichtigtuerei beruhen.

Häufig hätten solche Täter eine derartige faszinierende menschliche Ausstrahlung, wie Prof. Bandelow auch in persönlichen Gesprächen erfahren habe, die Justiz und Strafvollzug zu Fehlern in der Behandlung solcher Menschen verleite mit dann tragischen Folgen für weitere Opfer. Auch manche Terroristen, Sektenführer und Diktatoren ließen sich nach Meinung des Referenten aufgrund ihrer häufig ungewöhnlichen Fähigkeiten zu Täuschung und Manipulation von Gruppen und ganzen Völkern unter Menschen mit „antisozialer Persönlichkeitsstörung“ einordnen.

In der Diskussion wurde die Frage des Umgangs mit derart gestörten Menschen teilweise kontrovers diskutiert. Wie lange kann/sollte/muss man sie „wegsperren“? Welcher therapeutische Aufwand ist möglich/notwendig ? Einfache, z.B. medikamentöse Heilungschancen seien allerdings nicht in Sicht. Die Spannung zwischen biologisch oder biografisch begründetem und verantwortlichem Handeln müsse von der  Gesellschaft ausgehalten werden. Im Hinblick auf die Bewertung unsozialen Verhaltens von Politikern und Wirtschaftsführern betonte Bandelow, dass unsozialer Egoismus nicht einer psychopathischen Störung gleich gesetzt werden dürfe.
 

sponsored by